Neulich beim Bergwandern rätselten wir an einer Weggabelung, welche der beiden zur Wahl stehenden Routen zum Gipfel wohl die bessere sei. Ein Weg führte direkt zum Gipfel, steil und recht unwegsam, der andere wand sich in langgezogenen Serpentinen über die bewaldete Rückseite des Hanges. Eine andere Gruppe von Wanderern, die zeitgleich mit uns an der Gabelung ankam, entschied sich für die längere Strecke, wir für den direkten Weg.
Unsere Entscheidung sollte uns einiges abverlangen: Es ging in der prallen Sonne steil nach oben, häufig mussten wir uns an Felswänden hochhangeln, teilweise war der Pfad nicht richtig markiert und führte uns in die Irre, dann hatten wir wieder mit glitschigen Stellen zu kämpfen und kamen nur sehr langsam vom Fleck. Schließlich kamen wir nach einem unerwartet langwierigen Aufstieg völlig verschwitzt und ausgepowert am Ziel an. Den herrlichen Ausblick von oben konnten wir kaum genießen, da der kühle Wind uns in den nassgeschwitzten Klamotten frieren ließ, unser Wasservorrat von der Anstrengung des Aufstiegs bereits aufgebraucht war, und wir uns ziemlich ko fühlten. Trotzdem hatten wir das triumphierende Gefühl, wirklich etwas geleistet und das Gipfelerlebnis mehr „verdient“ zu haben als die bequemen Wanderkollegen, die den „einfachen“ Weg genommen hatten. Die erreichten den Gipfel kurz vor uns bei bester Laune und kaum angestrengt, besetzten die besten Plätze am Gipfelkreuz und feierten das erreichte Ziel mit einem köstlichen Picknick.
In der Arbeitswelt ist mir ein ähnliches Phänomen häufig begegnet: Nur hart erarbeitete Erfolge machen uns zufrieden und stolz. Wenn Ziele scheinbar mühelos erreicht werden, ist der Erfolg nicht der Rede wert oder wird sogar von uns abgewertet: „Ach, das zählt ja nicht.“
In der heutigen schnelllebigen Arbeitswelt gibt es so viele Ziele, auf die wir parallel oder in kurzer Taktung hinarbeiten. Können wir es uns leisten, jedes dieser Ziele unter Einsatz all unserer Kräfte anzugehen? Wie lange halten wir das durch? Häufig nehmen wir uns beim Start nicht einmal die Zeit, über mögliche Alternativrouten nachzudenken: Der direkte Weg erscheint uns am naheliegendsten und am schnellsten, und schon sind wir unterwegs. Einmal losgestartet, sind wir so fixiert auf den eingeschlagenen Weg und das vermeintlich nahe Ziel, dass wir mögliche Abzweigungen und hilfreiche Umgehungen gar nicht wahrnehmen. Wie oft versuchen wir, mit aller Kraft gegen auf dem Weg liegende Hindernisse anzurennen und sie aus dem Weg zu schieben, anstatt wie ein Fluss elegant, aber stetig um sie herum zu mäandern? Ist es ein Gesichtsverlust, die einmal eingeschlagene Route zu ändern, wenn wir aus der Nähe erkennen, dass sie uns mehr Kraft und Zeit als erwartet kostet? Ist es ein Zeichen von Schwäche oder nicht eher von Wendigkeit und Kreativität, Hindernisse „einfach“ zu umgehen? Das ist es, was ich unter agiler Vorgehensweise verstehe: Sich flexibel den inneren und äußeren Gegebenheiten anzupassen und schonend mit unseren Ressourcen umzugehen, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren.
Was dabei sehr hilfreich ist:
Vor dem Start ein sauberer Kickoff mit allen Beteiligten, bei dem
- das Ziel klar definiert wird,
- mögliche Wege dorthin erörtert werden,
- und erst dann gemeinsam entschieden wird, welche Route (= Strategie) aktuell am passendsten erscheint.
In regelmäßigen Zwischenstopps mit allen Beteiligten checken:
- Wie steht es um den Vorrat an Kräften und Ressourcen sowie um die Motivation als stärkste treibende Kraft?
- Sind noch alle dabei oder schon einige abgehängt?
- Wie ging es ihnen auf dem bisherigen Weg?
- Welche Hindernisse wurden wie überwunden und welche Hindernisse liegen noch im Weg?
- Passt die gewählte Route noch oder braucht es Kurskorrekturen?
(Bildquelle: heinz dahlmanns/pixelio.de)